Wo sich der Inn durch eine grüne Aulandschaft schlängelt, liegt das Stift Reichersberg im bayerisch-oberösterreichischen Grenzgebiet. Hinter den dicken Klostermauern, die so viel Ruhe und Zurückgezogenheit ausstrahlen, tut sich wider Erwarten ganz schön viel: Das stiftseigene Bildungszentrum gilt unter kreativen Köpfen als Geheimtipp für eine Auszeit der besonderen Art. Das ganze Jahr über werden im Stift Reichersberg im Innviertel unterschiedliche Kreativkurse und Workshops angeboten – von Musik über Schreiben und Yoga bis hin zu Kunsthandwerk.
Kreativ sein im Kloster: Von Musik bis Malen
An diesem Tag im Sommer klingt aus einem der prunkvollen, historischen Räume leise Kammermusik. Violine, Bratsche, Klavier. Eine Gruppe von Musiker*innen kommt jedes Jahr ins Stift, um gemeinsam zu spielen und am Ende ein öffentliches Konzert zu geben.
Direkt darunter konzentrieren sich die Teilnehmer*innen des Ikonenmalerei-Kurses in einem Raum mit weit geöffneten Fenstern. Mit viel Fingerspitzengefühl vergolden sie mit feinen Goldblättchen eine weiß gekalkte Holzplatte und pinseln gekonnt Farbe darauf. „Das ist für mich wie Meditieren“, erzählt eine Teilnehmerin, die jedes Jahr wieder kommt.
Eine Auswahl an weiteren Kreativkursen im Stift Reichersberg:
- Improvisationstheater (im September 2022)
- Biografisches Schreiben (im Oktober 2022)
- Körbe aus Zeitungspapier basteln (im November 2022)
- Stille Schreibmeditation (im November 2022)
- Sashiko-Technik: Japanische Stopftechnik (im Dezember 2022)
Spazirgang in den Innauen und im Stiftsgarten
Der Vorteil an der zurückgezogenen Lage des Stifts Reichersberg in einem der nördlichsten Winkeln Österreichs: Hier kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren, viel Ablenkung gibt es nicht. Frühmorgens durch die kühlen Innauen spazieren, nachmittags eine Runde durch den Stiftsgarten mit seiner Allee aus knorrigen Hainbuchen drehen. Das lüftet Geist und Seele durch.
Ebenfalls im Rahmen einer kreativen Auszeit organisierbar: Eine Führung mit der Kräuterpädagogin sowie Natur- und Landschaftsführerin Brigitta Gaisböck. Sie weiß viel über die Pflanzen im Stiftsgarten und in der Umgebung zu erzählen, von der Katzenminze über den Storchenschnabel bis zur Steckrose. Wenn ihr danach ist, packt die Musikschullehrerin ihre kleine Flöte aus Zwetschgenholz aus und spielt ein Ständchen im Schatten der Bäume.
Humorvolle Führung mit vielen Einblicken
Unbedingt empfehlenswert im Rahmen eines Kreativkurses ist eine Führung durch das Stift, das übrigens früher eine Burg war. Vor rund 900 Jahren erbaut, fiel das Anwesen später einem Brand zum Opfer. Das heutige Gebäude entstand vor rund 400 Jahren in 70 Jahren Bauzeit. Interessant für Besucher*innen ist natürlich der Einblick in das Leben der „Herren“, wie sich die einzelnen Mitglieder des hier lebenden Chorherren-Ordens nennen.
Die Chorherren haben im Vergleich zu anderen Ordensgemeinschaften nur ein kleines Regelwerk, an das sie sich als Gemeinschaft halten. „Je mehr Regeln man aufstellt, desto mehr kann man übertreten“, sagt Herr Andreas bei einer Führung schmunzelnd und in bayerischem Dialekt. Die wichtigste Regel im Zusammenleben: Herz und Seele sollten möglichst in Balance sein, Unstimmigkeiten bis zum Abend beigelegt werden.
Jeder “Herr” muss sein “Zimmer” selbst aufräumen
Die Führung durch das Stift Reichersberg kann natürlich auch genutzt werden, um Fragen über das Leben im Kloster zu stellen. Man erfährt etwa, dass sich die Männer beim Eintritt ins Kloster für ein Leben ohne Eigenbesitz entscheiden. Oder dass jeder Herr ein einzelnes Zimmer hat, das „Zelle“ genannt wird.
Die Besucher*innen erhalten freilich keinen Zutritt dazu, aber Herr Andreas erzählt: „Unsere Zellen sind sehr einfach eingerichtet und jeder ist selbst dafür verantwortlich, sie sauber zu halten“. Er selbst erledigt das am liebsten mit dem Staubsaugerroboter. Denn, auch das sagt er mit einem Schmunzeln: „Der heilige Geist hat die Technik erfunden, damit sie genutzt wird“.
Wissenswertes aus der Stiftsbibliothek
Der Höhepunkt einer jeden Klosterführung ist die Stiftsbibliothek. Im Stift Reichersberg ist der historische Prunkraum mit farbenfrohen Deckenfresken verziert. „Unsere Bibliothek ist mit rund 25.000 Bänden vergleichsweise klein“, erklärt Herr Andreas. Und weiter geht es mit viel Humor: „Kein Mensch schaut sich diese alten Schinken an. Der fleißigste Nutzer ist der Bücherwurm, der sich durchfrisst“.
Die wissenschaftlichen Werke seien großteils ohnehin längst überholt. Alle zehn Jahre wird jedes einzelne Buch aus dem Regal genommen, abgestaubt und durchgeblättert. Ist es von Schädlingen befallen, muss jede Seite einzeln abgesaugt werden.
Geschenke aus dem Klosterladen und Weinverkostung
Kulinarische Mitbringsel von der kreativen Kloster-Auszeit und noch viel mehr gibt es im Klosterladen zu erstehen. Speziell für das Stift Reichersberg sind die Liköre und Edelbrände aus eigener Erzeugung. Eine Besonderheit ist auch der Kaffee, der direkt nebenan geröstet wird und auch in Form von Kaffeelikör angeboten wird. Außerdem gibt es regional erzeugte Seifen, Raumdüfte und andere Naturprodukte zum Kaufen.
Weinverkostung mit Innviertler Jause
Hochwertige Weine aus den eigenen Stiftsweingärten und aus anderen Klosterkellereien in Österreich runden das Angebot im Klosterladen ab. Barbara Putz, die den Klosterladen leitet, lädt Gäste auch gern zur Weinverkostung in den gemauerten Keller ein. Auf Wunsch gibt es dazu eine herzhafte Innviertler Jause. Die besten Voraussetzungen für einen entspannten Abend, um am nächsten Tag frisch und motiviert in den Kreativprozess zu starten.
***
Lesetipp:
So hat die Journalistin Anita Arneitz das Stift Reichersberg erlebt: “Messwein, Herrengarten und Kreativität“. Und diese Eindrücke hat die Reisebloggerin Elena Paschinger aus dem Innviertel mitgebracht: “Bildungszentrum Stift Reichersberg“.