Busfahrt durch ein gähnendes Land
Kurze Zeit später in einem abgewetzten Bus, der unablässig hupend auf einer holprigen Asphaltstraße dahinbrettert. Cover-Versionen von bekannten westlichen Liedern dröhnen aus einem Lautsprecher, auf einem Flat-Screen tänzeln junge einheimische Popsternchen. Draußen gähnt das Land noch vor sich hin: Kühe trotten langsam auf die Felder, Hunde streunen vor den Teestuben mit den bunten kleinen Plastiksesseln herum, rot gekleidete Mönche stehen in langen Schlangen an und holen sich ihre allmorgendliche Schüssel Reis von der Bevölkerung. Felder werden von Hand bestellt und hin und wieder blitzt eine goldene Pagode zwischen Reisfeldern und staubigen Pisten auf.
Birma (Myanmar)in den Schlagzeilen der Welt
Birma (Myanmar) hat es in den vergangenen Jahren häufig in die internationalen Schlagzeilen geschafft: 2005 verlegte die Militärregierung den Regierungssitz von Yangon in das neu aufgebaute Zentrum Nay Pyi Taw und ernannte es zur neuen Hauptstadt. Zwei Jahre später schlug dieselbe Regierung den Aufstand der Mönche blutig nieder. Im Frühjahr 2008 fegte der Zyklon Nargis über das Land hinweg, zigtausende Menschen starben. Das Militärregime verweigerte vielen ausländischen Helfern die Einreise.
Demokratisierungsprozess
Dann der viel beschriebene Reformprozess: Ende 2010 entließ die Militärregierung politische Gefangene, darunter die Führerin der Demokratiebewegung, Aung San Suu Kyi, die sich jahrelang unter Hausarrest befunden hatte. Die damaligen Wahlen boykottierte sie zwar, bei Nachwahlen im April 2012 zog sie aber mit ihrer Partei NLD (National League for Democracy) ins Parlament. Aufgrund der langsam startenden Reformen lockerten westliche Regierungen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land. Ende 2012 gingen Bilder von US-Präsident Barack Obama um die Welt, der die gefeierte Oppositionsführerin freundschaftlich im Arm hielt.
Mit dem Bus zum Goldenen Felsen
Im Bus von Yangon nach Kyaikhto zum Goldenen Felsen, einem der bedeutendsten buddhistischen Pilgerziele des Landes, bekommt man von alldem nichts mit. Die Einheimischen sind freundlich, aber zurückhaltend. Mehr als ein zuvorkommendes Zunicken ist zumeist nicht drinnen, zumal viele nicht oder nur wenige Wörter Englisch sprechen. Wenn der Bus kurz stoppt, laufen Frauen an den Fenstern vorbei und bieten Wassermelonen und ganze gebratene Hähnchen an, die sie auf großen runden Silbertabletts auf ihren Köpfen balancieren.
Aung San Suu Ky ist überall
Von der Aufbruchstimmung im Lande zeugen aber die vielen Plakate von Aung San Suu Kys Partei NLD, die in jedem noch so kleinen Kaff hängen. In Bagan, einer Stadt mit mehr als 2.000 Pagoden und Tempeln, war die “Daw” (Mutter) angeblich einen Tag zuvor zu Besuch. Jetzt haben Parteihelfer neben den Marktbuden vor der Shwezigon-Pagode einen kleinen Stand mit Plakaten und Infomaterial aufgestellt. “Wir möchten noch mehr Menschen mobilisieren”, erzählt ein Wahlhelfer, die Zähne rot eingefärbt vom betäubenden und weit verbreiteten Betelnuss-Kauen. Mit Oppositionellen zu sprechen war Reisenden lange Zeit verboten.
Was hat sich geändert?
Was sich geändert hat, seit das Land auf dem Demokratisierungskurs ist? “Nicht viel” sagt ein Künstler, der in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bagan wohnt und zuckt mit den Schultern. In der Teestube hängen, so wie auf einmal vielerorts, Bilder von der verehrten Freiheitskämpferin und ihrem Vater, der das Land einst in die Unabhängigkeit führte. Der 28-jährige Min ist auskunftsfreudiger – und optimistischer. In Nyaungshwe in der Nähe des touristisch gut erschlossenen Inle-Sees betreibt er seit kurzem seine eigene kleine Touristen-Agentur. Autos, erzählt er, sind aufgrund der aufgehobenen Wirtschaftssanktionen jetzt um die Hälfte günstiger zu kaufen als zuvor.
Auch Ausländer können jetzt Geld abheben
Birma (Myanmar) werde sich außerdem bemühen, so rasch wie möglich an das internationale Bankensystem angeschlossen zu werden. Bisher mussten Ausländer die gesamte Reisekasse in bar mitnehmen, konnten vor Ort kein Geld abheben und nur selten vorgebuchte Hotelzimmer vorab per Überweisung bezahlen. “Ende 2013 werden hier die Southeast Asian Games ausgetragen, 2014 hat unser Land zum ersten Mal Vorsitz der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations, Anm.) über, dann werden Politiker und Diplomaten und viele andere einreisen und wir müssen uns darauf vorbereiten”, ist Min überzeugt. Schon in den letzten Monaten hat sich einiges getan: Mittlerweile wurden zahlreiche Bankomaten im ganzen Land aufgestellt, bei denen auch Ausländer Geld abheben können.
Aufbruchstimmung
Schon jetzt ist die Zahl der Geschäftsreisenden gestiegen, internationale Firmen erkundigen sich nach Investitionsmöglichkeiten, in Kaffeehäusern großer Hotels führen Einheimische und Ausländer angeregte Gespräche über Zukunftsthemen des Landes. An einer Ampel bietet ein kleiner Bub das ausgedruckte “Foreign Investment Law” zum Kauf an. Wer die englischsprachige “Myanmar Times” aufschlägt, liest über die gelockerte Pressezensur, die erstmalige Herausgabe eines englischsprachigen Kunstmagazins, über die Untersuchungskommission für Landraub und das Vorhaben, eine nationale Menschenrechtskommission einzurichten.
Ungelöste Konflikte
Aber noch immer brodeln in einigen Landesteilen ethische Konflikte, im Rakhine-Staat im Westen des Landes leben nach wie vor 800.000 staatenlose Mitglieder der Volksgruppe Rohingya. Auch andernorts liegt noch vieles im Argen: Mönche demonstrierten im Dezember 2012 erneut gegen die zum Teil brutale Vorgehensweise der Regierung. Außerdem gilt das Land als einer der größten Opiumproduzenten der Welt.
Touristenansturm
Seit Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi 2010 ihren Boykottaufruf für ausländische Touristen zurückgenommen hat und die neue Regierung einen Öffnungsprozess gegenüber dem Westen betreibt, sind die Touristenzahlen in dem 50 Millionen-Einwohner-Staat stark gestiegen: “In den Jahren zuvor kamen meist an die 200.000 Besucher in unser Land, im Vorjahr ist die Zahl auf 500.000 gestiegen und 2012 dann auf über eine Million”, erzählt eine heimische Touristikerin. Nicht unbedingt zum Vorteil für sie, wie man glauben würde. Denn nun ist es in der Hauptsaison schwierig geworden, freie Hotelzimmer für die wachsende Zahl an Klienten zu finden.
Preise steigen rasant
Die steigenden Touristenzahlen haben sich auch auf die Preise ausgewirkt: Die seien in den letzten Jahren zum Teil um 30 bis 50 Prozent gestiegen, erzählen sowohl die Touristikerin als auch andere Reisende. Für Doppelzimmer der unteren bis mittleren Preisklasse zahlt man zwischen 20 und 50 Dollar pro Nacht. Vielleicht sieht man deshalb so viele pensionierte Gruppenreisende und nur wenige Backpacker. Diejenigen, die gerade aus dem benachbarten Thailand kommen, empfinden die Preise in Birma (Myanmar) als besonders hoch.
Hinzu kommt: Wer hier ein Gästehaus oder Hotel betreibt, muss der Regierung regelmäßig eine Liste aller Gäste zukommen lassen. Auf dieser ist genau aufgeführt, wo der Urlauber zuvor genächtigt hat, wie lange er bleibt und wie die nächste Unterkunft heißt. Ein unangenehmes Gefühl. Den Reisepass sollte man übrigens gerade beim Busfahren stets zur Hand haben, falls das Militär eine Kontrolle durchführt.
Kilometerlange, leere Sandstrände
Dafür haben Reisende in Birma (Myanmar) sogar in der Hochsaison im Dezember kilometerlange, unverbaute Sandstrände für sich. So wie am Ngwe Saung Beach, der erst vor einem guten Jahrzehnt für den Tourismus geöffnet wurde. Hier reihen sich, gut versteckt zwischen einem Heer aus Palmen, kleinere und größere Hotels und Bungalowanlagen aneinander. Da die meisten Besucher aber zum berühmten Ngapali-Strand fliegen und sich damit die fünf- bis siebenstündige Busfahrt von der ehemaligen Hauptstadt Yangon nach Ngwe Saung sparen, ist der Strand fast menschenleer. Und abends, nach dem Sonnenuntergang, färbt sich wieder alles ein, blau in blau. (Dezember 2012)
Tipp: Informationen über verträgliches Reisen, für Touristen gesperrte Regionen sowie eine Fibel mit Dos und Dont’s für Myanmar-Besucher findet man auf www.tourismtransparency.org.