Es sind nur wenige Schritte, um mitten in die Entschleunigung zu treten. Während draußen die Sonne gleißt, lässt einen die Kühle hinter den dicken Klostermauern innerlich aufatmen. Die Geräusche von Autos, Spaziergeher*innen, Radler*innen und die Stimmen im nahe gelegenen Gastgarten verstummen. Freilich ist es im Kloster meistens nicht vollkommen still. Aber die Laute und Klänge sind ruhiger, bedachter, weniger vereinnahmend. Die langen, breiten, mit Stein gepflasterten Gänge vermitteln: Hier ist genügend Raum, um sich zurückzuziehen. Die Zeit ist zwar auch hier nicht stehengeblieben, aber ein Stück weit scheint sie zumindest angehalten zu werden.
Urlaub im Kloster: Schlafen im historischen Gewölbe
Das Benediktinerstift Seitenstetten im niederösterreichischen Mostviertel empfängt Reisende, die sich ein paar Tage oder Wochen Auszeit gönnen möchten, in Gästezimmern. Von Pilger*innen über Radfahrer*innnen bis zu jenen, die einfach nur abschalten wollen. Mit einem Schlüssel an einem klobigen Anhänger in der Hand tritt man bem Urlaub im Kloster über den kühlen Steinboden ins eigene Reich mit hohen Decken und antiken Möbeln. Ohne Fernseher und mit eingeschränkter Internetverbindung. Das WLAN-Passwort ist hier Programm: ora et labora. Wer gern ein bisschen moderner gebettet ist, quartiert sich im gegenüberliegenden Meiereihof der Klosteranlage ein.
Morgenstimmung im Stiftsgarten
Die Nacht im Kloster: Hier hört man noch Schritte, da ein Abendgebet. Früh morgens dringen Vogelgezwitscher und Autogeräusche durch das geöffnete Fenster herein. Jetzt in der Gaststube eine Tasse Kaffee holen, in den historischen Klostergarten spazieren und die kühle Morgenstimmung inhalieren. Vorbei am Glashaus, geradewegs in den Kräutergarten, in dem rund 260 Kräuterarten angebaut sind. Rosen und Lavendel duften, während die Sonne sich langsam hinter den Bäumen emporschiebt und den Kirchturm des Klosters in weiches Lichte taucht. Oregano, Nelken, Bohnenkraut und Astern bilden ein harmonisches Blütenensemble. Magnolienbäume, Apfelbäume und Kirschbäume ruhen auf perfekt gestutztem Rasen.
Stiftsgarten Seitenstetten: einst verwildert, heute restauriert
Die barocke Gartenanlage des 900 Jahre alten Stifts Seitenstetten wurde vor rund 200 Jahren angelegt. Im Laufe der Zeit wurde aus dem Ziergarten ein Selbstversorgergarten, der irgendwann verwilderte. „Bis 1996 hat man den Garten wieder restauriert und heute bildet er Jahrhunderte der Gartengeschichte ab“, erzählt Gartendirektor Stefan Kastenhofer bei einer Gartentour nach dem Frühstück. Zum heutigen Klostergarten in Seitenstetten gehören ein englischer Landschaftsgarten mit barockem Brunnen, ein Kräutergarten, ein Nutzgarten, ein Obsthain und ein Rosengarten.
Ein geordneter Dschungel fernab vom Trubel
Der Klostergarten des Stifts Seitenstetten ist von drei Seiten von Mauern umschlossen. Von der vierten Seite umgibt ihn die Mauer des Meiereihofs. Somit ist man weit weg vom Trubel des Alltags. „Ein intensives Gartenerlebnis auf kleiner Fläche“, fasst es Gärtner Stefan Kastenhofer zusammen, während er weiß blühendes Bohnenkraut abzupft und den Besucher*innen vor die Nase hält. Wie viele Pflanzenarten hier gedeihen, hat er nie gezählt. Er schätzt, dass es um die Tausend sind. Das angebaute Gemüse wird in der Klosterküche verwendet. Die Blüten der Rosen werden in Handarbeit abgezupft und zu Rosenblütenlikör verarbeitet.
Gartenakademie: Workshops für Pflanzenliebhaber*innen
In der Mitte des Klostergartens haben die Schüler*inen vom Stiftsgymnasium einen wilden Garten mit umranken Holzzelten eingerichtet. Am Gartenende ist seit einigen Jahren ein Pflanzenlabyrinth angelegt, als Genesungswunsch für den damals erkrankten Altabt. „Ein Garten ist etwas Dynamisches, es kommt ständig etwas Neues hinzu“, sagt Stefan Kastenhofer. Sein Fachwissen geben er und externe Kursleiter*innen bei Seminaren und Workshops in der klostereigenen Gartenakademie weiter. Sie reichen von herbstlicher Floristik über botanische Malerei bis zum Einmaleins der Gartenpraxis.
Angeschlossene Gärtnerei mit Experimentierfreude
Der Gärtner ist nicht nur für die klösterliche Gartenanlage zuständig, sondern betreibt daran angeschlossen eine eigene Gärtnerei. Auch dort tut sich viel: Aktuell experimentiert er mit dem Begriff Zeit. Er hat dafür auf einem Stück Wiese eine Blumenmischung ausgestreut, deren Entwicklung er genau beobachtet. Jetzt, im Hochsommer, blühen dort Margeriten, Mohnblumen, Kornblumen und die Kornrade. Auf einem Wiesenstück, das vor zwei Jahren bepflanzt wurde, stehen heute Flockenblumen, wilde Karotten und Schafgarben. Ein anderes Stück Land wird bewusst sich selbst überlassen. Das Wiesenstück wird vermutlich im Lauf der Zeit verbuschen und irgendwann zum Wald werden.
Stiftsführung: In den Prunkt der Vergangenheit eintauchen
Eine Führung durch das Stift Seitenstetten ermöglicht Einblicke hinter verschlossene Türen. Etwa in den prunkvollen Marmorsaal mit den Deckenfresken. Der Weg dorthin führt über die ebenso prunkvolle Abteistiege. Die Klosterarchitektur spielt mit Licht und Schatten, vom Eingang bis zur Kirche wechseln dunkle Gänge und helle Elemente ab. „Das steht für unser aller Lebensweg“, erklärt Tourguide Elfriede Scholler.
Beim Eintreten in die Stiftsbibliothek macht Staunen die Runde. Alle 16.000 Bücher haben denselben weißen Einband. Das hat einen praktischen Grund: Früher wurden im Wirtschaftsgebäude des Stifts bis zu 300 Schweine gehalten. „Damals wurde nichts weggeworfen und so hat man das Leder der Schweine weiß gekalkt und die Bücher damit einbinden lassen“, sagt Elfriede Scholler. Die wissenschaftlichen Schriften aus Theologie, Rechtswissenschaft, Medizin und Philosophie dienen heute mehr als Dekoration als dem Schriftenstudium. Sie sind auf Latein und Altgriechisch verfasst. Da sie für wissenschaftlichen Zwecke verwendet werden dürfen, kommen immer wieder Studierende, um die Bücher vor Ort zu lesen. Eine Mini-Auszeit mit Mehrwert sozusagen.
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Lust auf mehr Eindrücke von der Kloster-Auszeit? Hier schildern die Journalistin Anita Arneitz (“Tolle Knollen im Kloster”) und die Reisebloggerin Elena Paschinger (“Gartenakademie Stift Seitenstetten”) ihre persönlichen Eindrücke vom Stift Seitenstetten.
Dein Bericht hat eine Gewisse Neugier für dieses Thema geweckt. Aber ich glaube ich bin noch nicht reif für das Kloster 🙂 – Aber die Gärtnerei wäre schon sehr interessant. Vielen Dank für den von dir gewährten Einblick in diesen Bereich des Urlaub machen !