„Energie nicht fürs Fliegen verbraten“

Jana Strecker vom Verein "terran"
Jana Strecker vom Verein "terran"
Jana Strecker ist früher beruflich viel geflogen. Sie hat damit aufgehört und den Verein „terran“ mitgegründet. Er setzt sich für ein flugfreies Reisen am Boden ein. Was steckt dahinter?

„Nicht zu fliegen ist der größte Hebel, um den persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren“, sagt Jana Strecker aus Freiburg im Gespräch mit kofferpacken.at. Um diese Botschaft unter die Leute zu bringen, hat sie gemeinsam mit Gleichgesinnten den Verein „terran“ gegründet. Das Wort „terran“ ist dabei eine neue Wort-Kreation. Es steht für ein geerdetes Reisen am Boden – also etwa zu Fuß, mit Zug und Bus. Jedenfalls ohne Flugzeug. Warum braucht es ein eigenes Wort, um Aufmerksamkeit zu schaffen? Wie ist die terrane Bewegung entstanden? Und was sind die Vorzüge des terranen Unterwegsseins?

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kofferpacken.at: Der Sommer 2022 war geprägt vom Chaos auf Flughäfen und Flugausfällen. Regt dich das auf oder freut dich das?

Jana Strecker: Ich finde es nachvollziehbar, wenn sich die betroffenen Personen ärgern, dass sie nicht an ihr Ziel kommen. Solche Szenarien sind meiner Meinung nach aber der falsche Weg um zu lernen, dass Fliegen schlecht ist. Es wirkt eher wie eine Bestrafung, davon bin ich nicht so ein Fan. Andererseits muss man sagen: Über die Bahn regen sich die Leute ständig auf, wenn sie Verspätung hat. Beim Fliegen wird das eher hingenommen, es ist nicht so ein Thema. Unser Verein ist jedenfalls für einen positiven Zugang, wir wollen das Positive in den Vordergrund stehen. Also: Wie schön es ist, am Boden zu reisen.

kofferpacken.at: Kann ein Mensch, der Wert auf eine klimafreundliche Lebensweise legt, überhaupt fliegen?

Jana Strecker: Genau diese Botschaft wollen wir transportieren – dass beides nicht miteinander vereinbar ist. Viele Menschen in unserer Blase machen sich Gedanken über ihren persönlichen CO2-Fußabdruck. Sie wohnen in kleinerem Wohnraum, kaufen bio, regional oder sogar vegan ein, ziehen Secondhand-Kleidung an. Beim Fliegen wird hingegen oft ausgeblendet, welche enormen Klimaschäden es verursacht.

kofferpacken.at: Warum könnte das so sein?

Jana Strecker: Wir glauben, dass viele Menschen gar nicht wissen, wie schlecht das Fliegen für den persönlichen CO2-Fußabdruck ist. Man kann sich zum Beispiel ein ganzes Jahr lang vegan ernähren, aber verglichen mit einem Flugverzicht tut man damit weitaus weniger fürs Klima. Das wollen wir in den Fokus rücken. Und damit die Tatsache, dass Nichtfliegen der größte Hebel ist, um den persönlichen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Dadurch, dass wir hier in Westeuropa leben, haben wir bereits einen riesigen CO2-Rucksack. Wir können es uns nicht leisten, auch noch zu fliegen, wenn wir eine gerechtere Welt wollen.

kofferpacken.at: Vor allem Vielflieger*innen und Überreiche stoßen einen Großteil der Flugemissionen aus. Wie wollt ihr die erreichen? Oder braucht es da andere Maßnahmen?

Jana Strecker: Wir versuchen alle zu erreichen, die wir erreichen können. Da wird es natürlich Menschen geben, denen das wurst ist. Diejenigen, die im Privatjet um die Welt fliegen, werden wir nicht ansprechen, indem wir das Wort „terran“ verbreiten. Wir adressieren die persönlichen Entscheidungen, die man im Leben trifft. Um Vielflieger*innen zu erreichen, braucht es auch politische Rahmenbedingungen, das geht nicht mit Einsicht oder Erkenntnis.

kofferpacken.at: Warum braucht es mit „terran“ ein eigenes Wort, um weniger zu fliegen?

Jana Strecker: Als wir festgestellt haben, wie schlecht das Fliegen für den persönlichen CO2-Abdruck ist, wollten wir zuerst eine Petition starten. Die Idee war, innerdeutsche Flüge zu verbieten. Aber ist es dann okay, von Berlin nach Basel zu fliegen? Zielführender wäre wahrscheinlich eine Kilometerangabe, innerhalb derer es keine Flieger mehr geben darf. Dabei haben wir uns aber gefragt: Hätten wir überhaupt den Rückhalt von ausreichend vielen Menschen für so eine Petition? So sind wir darauf gekommen, einen Schritt zurückzugehen und erst einmal auf das Thema aufmerksam zu machen und zwar mit einem neuen Wort. Den Begriff „Flugscham“ gab es schon, er ist uns aber zu negativ behaftet. Mit „terran“ wollen wir den Fokus nicht auf den Verzicht lenken, sondern auf das Positive, das mit dem Reisen am Boden einhergeht.

kofferpacken.at: Was ist für dich der Mehrwert beim terranen Reisen?

Jana Strecker: Wenn man fliegt, ist man von der Umgebung herausgerissen. Man verliert die Verbindung – das, was dazwischen liegt. Beim terranen Reisen ist das anders, man bekommt auch etwas von dem mit, was am Weg liegt. Der Urlaub beginnt vor der eigenen Haustür und nicht erst, wenn man im Hotel ankommt. Das Unterwegssein ist Teil der Reise und des Erlebens. Und: Man ist vielleicht weniger gestresst, wenn man nicht auf etwas abzielt, sondern sofort mit der Entschleunigung beginnt.

kofferpacken.at: Wie reist du selbst terran?

Jana Strecker: Ich bin letzten Sommer mit meiner Partnerin im Nachtzug ans Meer gefahren, nach Kroatien. Wir hatten davor einfach geschaut, welche Nachtzüge von unserer Region aus ans Meer fahren. So sind wir in Rijeka gelandet, mit Rucksack und Zelt herumgereist, vor Ort mit Öffis gefahren und teilweise auch getrampt. Das war ein Abenteuer. In diesem Sommer sind wir mit dem 9-Euro-Ticket an die Nordsee getuckert. Hier war der Weg das Ziel, wir haben unterwegs Freund*innen besucht und uns einige Städte angeschaut.

kofferpacken.at: Wann hast du selbst das letzte Mal ein Flugzeug betreten?

Jana Strecker: Ich habe früher für eine Firma gearbeitet, die Biogasanlagen baut. Als Teil meines Jobs bin ich ganz Europa herumgeflogen, von Bordeaux bis Zagreb, um solche Anlagen in Betrieb zu nehmen. Das ist echt abgefahren. Nachdem mir bewusst wurde, wie schädlich das Fliegen für den persönlichen CO2-Abdruck tatsächlich ist, habe ich umgedacht. Zum letzten Mal bin ich im Jahr 2018 privat geflogen und zwar nach Jordanien.

kofferpacken.at: Empfindest du es als Verzicht, nicht mehr zu fliegen?

Jana Strecker: Nein, ich habe es bisher nicht als Verzicht wahrgenommen. Die Frage bei der Urlaubsplanung ist: Welches Bedürfnis möchte ich mit der Reise erfüllen? Kann ich mich zum Beispiel nur erholen, wenn ich an einem Strand auf den Malediven bin oder geht das auch an anderen, näher gelegenen Orten? Ich finde es auch wichtig zu überlegen: Für wen mache ich das überhaupt? Möchte ich mich über meine Reisen profilieren? Ich will nicht sagen, dass man überhaupt nicht mehr reisen soll. Ich bin immer dafür, fremde Kulturen und Länder kennenzulernen. Aber macht man das wirklich, wenn man für zwei Wochen irgendwo hinfliegt und sich in ein Hotel einquartiert?

kofferpacken.at: Was entgegnest du Menschen, die nach wie vor fliegen – aber mit schlechtem Gewissen?

Jana Strecker: Damit habe ich so meine Schwierigkeiten. Vor allem dann, wenn Menschen nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Da muss man nämlich von ganz vorne anfangen: Hey, du bist auf dieser Welt nur zu Gast. Wir wollen eine zukunftsfähige Welt hinterlassen. Woher nimmst du dir das Recht, zu fliegen? Das ist teilweise eine schwierige Diskussion, bei der ein politischer Rahmen wie eine Kerosinsteuer und ein CO2-Budget pro Person helfen würden.

kofferpacken.at: Als der Begriff „terran“ auftauchte, gab es ein enormes mediales Echo. Kam insgesamt mehr Lob oder Kritik?

Jana Strecker: Vor allem in Österreich haben die Medien viel über uns berichtet, es war quasi ein Selbstläufer. Genau das wollen wir: Nehmt das Wort terran, verbreitet es, sprecht darüber. Bis auf zwei oder drei eigenartige Rückmeldungen haben wir nur Zuspruch erhalten. Viele Menschen kommen auf uns zu und sagen, dass sie seit 30 Jahren terran leben. Andere wollen sich gemeinsam mit uns engagieren.

kofferpacken.at: Was kann man persönlich tun, um sich für eine terrane Lebensweise einzusetzen?

Jana Strecker: Das Einfachste ist, darüber zu reden. Die Möglichkeiten dazu hat man im Alltag zwar seltener als etwa beim Wort vegan. Immerhin essen wir drei Mal am Tag, aber das Thema Urlaub kommt meistens nur einige Male im Jahr auf. Deshalb ist es hilfreich, das Wort terran bei jeder Gelegenheit aufzugreifen und anderen zu erzählen: Übrigens, ich bin terran, weil … Das hat eine Wirkung im Umfeld.

kofferpacken.at: Was muss passieren, damit die Zukunft des Reisens wirklich terran ist?

Jana Strecker: Das Abgefahrene ist, dass nur rund fünf Prozent der Menschheit regelmäßig ein Flugzeug betritt. 80 Prozent der globalen Bevölkerung lebt terran. Die meisten Menschen werden nie in ihrem Leben fliegen, weil sie das Geld dafür nicht haben oder einen einschränkenden Reisepass besitzen. Natürlich wächst der Wohlstand auch in anderen Teilen der Erde, was einen regelrechten Flugboom auslösen kann. Ich hoffe, dass wir als Menschheit vorher die Kurve kriegen, sonst werden wir die Grenzen des Planeten überschreiten. Ein Hoffnungsschimmer scheinen ja umweltschonendere Kraftstoffe zu sein. Aber das ist eine Technikgläubigkeit, an der Menschen sich festhalten, um bloß nicht ihre Gewohnheiten ändern zu müssen. Außerdem können wir uns das auch nicht leisten: Wir können nicht unsere Energie dafür verbraten, dass vergleichsweise wenige Menschen fliegen. Wir müssen den Rahmen setzen und Alternativen zum Flug wie etwa Nachtzüge schaffen.

ZUR PERSON
Jana Strecker hat Maschinenbau studiert und ist für das Umweltschutzamt der Stadtverwaltung Freiburg im Breisgau tätig. Dort befasst sie sich schwerpunktmäßig mit erneuerbaren Energien. Die 32-jährige ist Mitbegründerin des Vereins „terran“, der sich für ein Reisen möglichst am Boden und ohne Flugzeug einsetzt.

1 Comment

  • Ich bin jetzt seit zweieinhalb Jahren bewusst nicht mehr geflogen. (Und das damals war für drei Monate auf die Azoren, wohin kein Schiff ging.)

    Irgendwann will ich sicher mal wieder nach Nord- oder Südamerika oder vielleicht nach Grönland, also wird es auch irgendwann wieder ein Flug sein, aber wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, fahre ich jetzt nur mehr mit dem Zug oder per Anhalter. Selbst richtig weite Strecken, wo ich ein paar Tage unterwegs bin.

    Ich finde es viel spannender und interessanter so. Keine langweiligen Flughäfen mehr. Kein Stress um das im Gepäck nicht erlaubte Shampoo oder zu schwere Bücher. Keine Angst vor Abstürzen.

    Das einzige, was mich eigentlich noch ärgert, ist, dass die Zugfahrten selbst mit allen möglichen Spartricks manchmal noch teurer sind als ein Flug. Ich meine, die Leute, die glauben, sie hätten wenig Zeit und müssten ganz schnell in Barcelona sein, die werden wir nie umstimmen. Aber bei vielen geht es halt auch ums Geld, und da könnte man mit höheren Steuern auf Flüge schon ziemlich etwas erreichen. (Auch wenn der Flug netto oft gar nicht mehr so billig ist, wenn man sich am Flughafen eine Pizza kauft, die fast genauso viel kostet wie der Flug.)

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