Getrenntes Wohnen, getrennte Pubs
Viele andere Pubs in Nordirland haben kein so durchmischtes Publikum wie das “Dufferin”. Gerade die Hauptstadt Belfast ist was das Wohnen betrifft nach wie vor stark aufgeteilt in katholische und protestantische Viertel. Und mit wem man nicht Tür an Tür leben will, geht man abends auch kein Bier trinken. Das gilt freilich nicht für die Pubs in den Stadtzentrum, sondern für jene in den Wohnvierteln. Die Brennpunkte, an denen diese aneinanderstoßen, heißen Interfaces. Sie sind durch Betonmauern, dicke Eisentore oder Stacheldraht voneinander getrennt. Wenn es wieder einmal zu Ausschreitungen kommt, dann meistens dort.
Aufholbedarf
15 Jahre nach dem Friedensvertrag von 1998 gilt es noch einiges aufzuholen, um wirklich von einem gemeinsamen Zusammenleben zwischen Katholiken und Protestanten reden zu können: 90 Prozent der Wohnungen im Sozialwohnbau werden nach wie vor für “Single Identities”, also für Anhänger einer der beiden dominierenden Konfessionen, gebaut. Ob es sich um ein katholisches oder protestantisches Viertel handelt, sieht man oft auf den ersten Blick: Protestantische Wohnviertel sind nach wie vor mit der britischen Flagge und rot-blau-weißen Gehsteigkanten gekennzeichnet, während in katholischen Wohnvierteln die grün-weiß-orange irische Fahne weht und die Straßen zum Teil in Gälisch beschriftet sind. In Nordirland haben Symbole wie Flaggen oder Wandmalereien seit jeher eine hohe Bedeutung, da sie ein Ausdruck von Identität sind.
Auch in anderen Lebensbereichen ist die Gesellschaft nach wie vor gespalten: Weit unter zehn Prozent der Schüler besuchen so genannte “integrierte Schulen”, also Bildungsstätten, die sowohl Katholiken als auch Protestanten offen stehen. Auch bei den Eheschließungen sind die Konfessionen nach wie vor wenig durchmischt. Und mit den Pubs ist das so eine Sache – unter Gleichgesinnten fühlt man sich eben besser aufgehoben.
Konflikt-Ursachen
Als Außenstehender, der in den Medien meist von Auseinandersetzungen zwischen “Katholiken” und “Protestanten” hört, mag man sich fragen: Was hat es mit diesem Konflikt auf sich? Mit Religion im engeren Sinn hat er – anders als oft vermittelt – wenig zu tun. Vielmehr ging es immer nur darum, wer etwas besaß und wer nicht. Wem es finanziell und sozial gut ging und wem nicht. Um Benachteiligungen am Arbeitsmarkt oder bei der sozialen Wohnungsvergabe. Und um Identitätsbewusstsein: Wir, die Iren, ihr, die Briten – und umgekehrt. Denn: Die Ursprünge des Konflikts liegen darin, dass die protestantischen Engländer vor Jahrhunderten die katholische Insel Irland besiedelten und so eine Kluft der Ungerechtigkeiten zwischen Iren (“Katholiken”) und Engländern und Schotten (“Protestanten”) entstand.
“Strukturelle Ungleichheit”
Der Konflikt hatte seit Ende der Sechzigerjahre mit den so genannten “Troubles” seinen Höhepunkt, bei denen bis zum Friedensabkommen von 1998 mehr als 3.500 Menschen getötet wurden. “Die Troubles entstanden vor einer Kulisse von struktureller Ungleichheit in den Bereichen Wohnen, Arbeiten und Lebenschancen zwischen Katholiken und Protestanten”, heißt es im “Northern Ireland Peace Monitoring Report”, der im Februar 2012 vom Community Relations Council veröffentlicht wurde. Und: Der Konflikt war seit jeher einer der unteren gesellschaftlichen Schichten, von deren Mitgliedern und auf deren Boden wurde und wird er meist ausgetragen.
Das Leben genießen
Trotz des nach wie vor angespannten Verhältnisses zwischen den beiden Konfessionen: In Nordirland lebt es sich heute im Großen und Ganzen wie in jeder anderen Region Europas auch. Man geht in Bars, Clubs und Restaurants, genießt das Leben; die Shoppingmeile von Belfast ist nicht nur am an Wochenenden rappelvoll. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 haben sich die gegnerischen politischen Parteien zusammengerauft, die IRA (Irish Republican Army) hat ihre Waffen abgegeben – Splittergruppen existieren jedoch nach wie vor -, es wurde in Konflikt-Aufarbeitung und ein friedlicheres Miteinander investiert.
Die als zu protestantisch kritisierte Polizei wurde reformiert, die “Fair Employment Commission” achtet auf eine faire Aufteilung von Katholiken und Protestanten im Arbeitsleben, die Zahl der gemischten Schulen wächst langsam – häufig aufgrund des Engagements von Eltern. Auch das Bildungsministerium selbst will jetzt gemischte Bildung vorantreiben.
Trotz aller positiven Entwicklungen: In den Medien liest man aber meist nur über Nordirland, wenn es wieder Ausschreitung und Zwistigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten gibt – was in der Regel nur einen geringen Teil der Bevölkerung betrifft.
Basisarbeit, um den Frieden voranzutreiben
Auch die sektiererisch begründete Gewalt scheint abzunehmen: Im Jahr 2011 gab es um fast ein Drittel weniger Schießereien und Anschläge als im Jahr zuvor. Und obwohl sich die Regierung bisher auf keine gemeinsame Strategie zum Brückenbau zwischen der geteilten Gesellschaft einigen konnte, haben zahlreiche Organisationen, Gruppierungen und Projekte längst damit begonnen, an der Basis am Friedensprozess zu arbeiten. Dazu gehören etwa Community-Projekte, die die Menschen aus benachbarten katholischen und protestantischen Wohnvierteln durch gemeinsame Aktivitäten einander näherbringen wollen.
Gemeinsame Identität?
Laufend durchgeführte Umfragen wie die “Northern Ireland Life and Times Survey” sprechen für eine positive gemeinsame Zukunft: Die Bevölkerung stuft die Beziehung zwischen den beiden konfessionellen Gruppen als immer positiver ein. Immer mehr Menschen empfinden “nordirisch” als gemeinsame Identität, anstatt sich selbst als “britisch” oder “irisch” einzuordnen. Ein großer Teil der Bevölkerung würde es bevorzugen, in konfessionell gemischten Wohngegenden zu leben. Natürlich: Das alles sind Zahlen und die Realität schaut mancherorts anders aus. Experten haben bereits vor Jahren gewarnt, dass das Konfliktpotenzial nach wie vor gegeben ist und etwa eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation – wie sie derzeit gegeben ist – jederzeit Auslöser für neue Ausschreitungen sein könnte.
Dem Konflikt keine Chance geben
Das Dufferin Arms in Killyleagh besuchen weiterhin jene Menschen, die mit dem Konflikt längst abgeschlossen haben oder ihm nie eine Chance gaben, ihr Leben zu bestimmen. Leute, die wirtschaftlich vorankommen möchten, Kosmetiksalons, Cafés und Baufirmen besitzen, ihren Kindern etwas bieten wollen. Frank und Leona, die trotz ihrer unterschiedlichen Konfessionen geheiratet haben. Lorna, die ihren Mitmenschen über facebook mitteilt, wie sehr sie sich für die immer wieder aufkomenden Ausschreitungen in ihrem Land schämt. Oder eine andere Pub-Besucherin, die sagt: “Die Menschen wissen mittlerweile, wie schön das Leben sein kann. Niemand will das mehr hergeben und ich hoffe, dass es das jetzt ist.” (Maria Kapeller, kofferpacken.at; 20. Jänner 2013)