Weil wir in einem bestimmten Teil der Welt geboren sind, können wir reisen. Nicht irgendwie, sondern in der bequemsten Form, die es überhaupt gibt: Wir bezahlen problemlos Flugtickets, übertreten ohne Visums-Hürden alle möglichen Ländergrenzen, surfen stundenlang durch Buchungsplattformen, um die besten Hotel-Schnäppchen zu ergattern. Vor Ort, da kaufen wir sauberes, in Plastikflaschen abgefülltes Wasser. Wenn uns danach ist, gönnen wir uns einen ausgiebigen Restaurantbesuch.
Andere, die in anderen Teilen der Welt geboren sind, die reisen auch. Aber eben anders. In der menschenunwürdigsten, unbequemsten Form, die man sich vorstellen kann: Sie flüchten. Für unsereins ist Reisen der zum Alltag gewordene Luxus. Für sie ist es eine Odyssee, ein Albtraum. Auch für sie ist das Reisen zum Alltag geworden. Man nennt sie Notreisende.
In unseren Ländern wollen wir sie nicht haben. Und wenn wir in ihre Länder reisen, dann verschließen wir die Augen. Wir lechzen nach Schönfärberei. Wir schwimmen auf der touristischen Oberfläche, aalen uns in diesem künstlich erzeugten Gewässer. Manchmal tauchen wir kurz unter. Aber meistens wollen wir dann ganz schnell wieder hinauf. Wir wollen süße Tiere fotografieren und auf Elefanten reiten. Ob die illegal im Wald gefangen wurden, scheint egal zu sein. Wir wollen ethnischen Minderheiten näherkommen. Dass ihre Gemeinschaften längst durch den Tourismus verseucht wurden oder sie aus Profitgier benutzt werden, das hinterfragen wir nicht. Wir wollen das pralle, farbenfrohe Leben ablichten. Das Glanzlose findet keinen Platz im Bilderrahmen.
Machen wir uns selbst etwas vor, wenn wir reisen? Wie viel Wahrheit vertragen wir? Wollen oder können wir gar nicht mitbekommen, was hinter dem touristischen Vorhang wirklich läuft? Flüchtlingsdramen, Naturkatastrophen, Menschenrechtsverletzungen, Kinderprostitution, illegaler Tierhandel, Menschenhandel, Drogenschmuggel und all die anderen Dinge, die man beim Reisen gerne ignoriert, spielen sich oft in unmittelbarer Nähe ab.
Ob man Länder, in denen anderen Unrecht geschieht, überhaupt bereisen soll, ist eine ethische und hochkomplizierte Frage. Einerseits kann man so die lokale Bevölkerung unterstützen, andererseits unbeabsichtigt ein menschenverachtendes Regime oder eine kriminelle Gruppe. Bestimmt, es kommt darauf an, wohin man reist und wie man unterwegs ist. Es gibt viele Möglichkeiten, sich Ländern etwas wahrhaftiger anzunähern, zum Beispiel Couchsurfing oder Freiwilligenarbeit (die gut überlegt sein will).
Egal, für welche Form des Reisens wir uns entscheiden: Es ist unsere Pflicht, dieses kostbare Gut, das Reisen des Reisens wegen, absolut zu schätzen. Und, aktueller denn je: Wir müssen uns informieren, die örtliche Tageszeitung lesen, mit Einheimischen ins Gespräch kommen. Wir dürfen nicht wegschauen, sollten uns für andere einsetzen und eine realistische Erzählung der Urlaubsländer mit nach Hause bringen. Die Wahrheit kann man nicht beschönigen. Aber am wenigsten hilft es, die Augen vor ihr zu verschließen.
Danke für den Artikel!
Wahre Worte – die zum Nachdenken anregen. Es ist nicht immer einfach, sich unterwegs bewusst zu machen in welcher privilegierten Situation wir sind. Kleinigkeiten werden zum Ärgernis und man verfällt gerne in die Rolle des Touris, der alles ‘perfekt’ wie im Katalog möchte. Und authentisch, bitte! (Dazu kommt morgen ein Blogpost auf DeeperTravel). Reisen um des Reisens wegen, sensibel gegenüber lokalen Gegebenheiten und die eigene Rolle reflektierend – das ist der erste Schritt.
Liebe Grüße,
Eva
Hallo Eva!
Ja, da hast du Recht. Man muss sich immer wieder selber an der Nase packen. Und darf nicht zu bequem werden, denn sonst planscht man wirklich nur auf der Oberfläche dahin. Und, auch das stimmt: Einerseits wollen wir authentische Erlebnisse, andererseits sollen uns diese bequem auf dem Silbertablett serviert werden. Das kann ja nicht zusammenpassen.
Ich bin gespannt auf euren Artikel,
liebe Grüße,
Maria
Sorry, aber mich ärgert diese Ausdrucksweise. Ich Reise um die Welt, Menschen und Kulturen kennenzulernen. Davon was du beschreibst ist für mich nicht “reisen” sondern billiger Pauschaltourismus. Klar gibt es den mittlerweile auch in Form von Rundreisen, in denen man nur den Schein und kein Land wirklich kennenlernt, aber wie tief man gehen will ist jedem selbst überlassen. …
Hallo Sandra! Was meinst du genau mit “diese Ausdrucksweise?” Viele Menschen reisen um die Welt, um Menschen und Kulturen kennenzulernen – so wie du. In welcher Form man reist, bleibt meiner Meinung nach jedem selbst überlassen. kofferpacken.at wurde übrigens genau aus diesem Grund gegründet – um auch hinter die Kulissen zu blicken und nicht – wie andere Reisemedien – nur geschönt über touristisch aufgeblähte Scheinwelten zu berichten. Ich persönlich bin meistens sehr individuell unterwegs. Unsere Texte sind aber trotzdem für alle Reisenden, nicht nur für Backpacker und Individualtouristen. Jetzt würde mich interessieren, wie du unterwegs bist – gibst du uns einen kurzen Einblick?
Liebe Grüße, Maria
Hallo Maria,
sehr interessante Gedanken, die ich mir auf die eine oder andere Art auch häufig stelle. Ich vermeide folkloristische Veranstaltungen gänzlich. Das ist einerseits schade, weil ich so selten mit der Kultur eines bereisten Landes in Berührung komme, aber andererseits habe ich immer das Gefühl, dass so etwas nicht echt ist. Tatsächlich werden Kulturen durch Menschen (und in besonders starkem Maß auch durch Touristen) verändert. Und das resultiert meist in einer Sinnentleerung der Kultur, die als leere Hülle zurückbleibt, nett anzusehen ist, aber keine Bedeutung mehr hat – wie die Frau, die nur da ist, um sich fotografieren zu lassen. Aber machen wir uns nichts vor, das passiert vor unserer Haustür (in den Alpen zum Beispiel) genau wie in Myanmar.
Genauso sind die Themen Flüchtlingsdramen, Kinderprostitution, Menschenhandel und Drogenschmuggel meiner Meinung nach kein Problem des Tourismus. Das sind globale Themen, die einen Nichtreisenden in Deutschland oder Österreich genauso angehen (sollten) wie überall sonst. Da den Touristen in die Verantwortung zu stellen – ich weiß nicht, ob das der richtige Ansatz ist. Schwieriges Thema.
Generell gebe ich dir aber Recht: Das Reisen ist eine einzigartige Möglichkeit, ein politisches Bewusstsein über den eigenen Tellerrand zu entwickeln und weiterzutragen. Und wir sollten uns viel öfter bewusst machen, wie großartig es ist, reisen zu können. Aber auch, was für ein tolles Leben wir zuhause haben.
Liebe Grüße
Anna
Hallo Anna!
Da hast du natürlich Recht, dass Flüchtlingsdramen, Menschenhandel etc. kein explizites Problem des Tourismus sind – sondern eines, das die ganze Welt angeht. Ich habe hier zwei Dinge miteinander vermischt. Einerseits dieses Thema, andererseits etwas, das man wirklich als Tourismus-Problem bezeichnen könnte: Das Schaffen künstlicher Welten, um dem Reisenden das zu geben, was er scheinbar sucht. Es ist trotzdem schade, dass wir beim Reisen dazu tendieren, alles Negative auszublenden und nur die schönen Seiten sehen (wollen). Aber, und damit gebe ich dir auch Recht, daheim ist das ja nichts anderes.
Liebe Grüße
Maria
Hallo,
Du hast sicherlich recht in vielen Punkten. Doch ein Urlaub, eine Reise ist keine Menschenrechtsdemonstration oder eine Tierschutzaktion. Ich reise, um andere Welten zu entdecken, mal was anderes zu sehen. Ich mag es, über all das Unbekannte und Ungewohnte, was mit unterwegs begegnet zu staunen. Zum Urlaub gehört für viele auch, ein wenig Heile Welt zu genießen. Da kann ich niemandem einen Vorwurf machen. Ich war in Indien unterwegs und habe sehr viel Elend und Ungerechtigkeit gesehen, so viel, dass ich kaum noch einen Blick für die Schönheit des Landes hatte. Das kann auch nicht der Sinn des Reisen sein.
Man sollte auch daran denken, dass manch eine Kultur, manch ein Brauchtum schon lange untergegangen wäre, hätte es nicht die Aufmerksamkeit der Touristen erregt. Besonders in China erlebe ich so etwas immer wieder: Manch ein altes Gebäude, eine Tracht, ein Lied wird von Einheimischen als so alltäglich angesehen, dass es kaum noch wertgeschätzt wird. Erst wenn die Touristen sagen: “Das ist ja toll!” kommt ein erstaunter Blick der Einheimischen, ein “Achja!” und dann vielleicht ein Umdenken. So wurden die letzten Reste der Altstadt von Shanghai vor dem Abriss bewahrt, weil man merkte, dass man damit auch Geld verdienen konnte.
Auch wenn die Karen-Frau aus touristischen Gründen dorthin gebracht wurde, so sollte man auch daran denken, dass sie damit Geld verdient und von vielen Touristen eine Wertschätzung erfährt, die sie vielleicht sonst nicht erlebt hätte. Ich mag es nicht, wenn Menschen aus irgendwelchem Brauchtum her verstümmelt werden. Und als Verstümmelung sehe ich diesen langen Hals. Aber was die Frau davon, wenn man ihr sagt, wie schrecklich und schlecht solch eine Sitte ist? Sie glaubt wahrscheinlich daran, dass es gut ist. Doch der missionarische Eifer manch eines Reisenden, die geringe Wertschätzung von manchen können sie traumatisieren, mehr als die bewundernde Aufmerksamkeit der Fotografen.
Ach, ich schreibe mich hier in Rage. Und könnte noch so viel mehr schreiben! Schluss jetzt! Ich wünsche allen unbeschwertes Reisen, Freude an der Andersartigkeit fremder Kulturen und immer ein wenig Staunen…
Ulrike
Hallo Ulrike! Vielen Dank für deine ausführlichen Worte. Gerade dein letzter Satz, dass du allen anderen Freude am Reisen wünscht, ist schön. Jeder macht so seine eigenen Erfahrungen und bei manchen Themen gehen die Meinungen dann naturgemäß dementsprechend auseinander. Natürlich verteufle ich den Tourismus an sich nicht, aber die Auswüchse, die er mancherorts angenommen hat. Und freilich ist eine (Urlaubs)-Reise etwas gänzlich anderes, als zB in einem fremden Land politisches Engagement zu zeigen. Trotzdem sollten wir nicht tun, als ginge uns der Rest des Landes abseits der schönen Dinge nichts an. Auslöser dieses Kommentars waren die Leichenfunde in Malaysia, das ich vor wenigen Monaten bereist hatte. Vor Ort in Asien hatte ich mich bereits mit Themen wie Menschenschmuggel befasst und war in Kontakt mit einer Organisation, die dagegen ankämpft. Im Nachhinein so etwas zu erfahren, hat mich deshalb besonders erschüttert. Bei der Karen-Frau stimme ich dir trotzdem nicht zu: Man hat regelrecht gespürt, wie fehl am Platz und erniedrigt sie sich fühlte.
Alles Liebe
Maria
Da unterschreibe ich Ulrike jedes Wort. Wer glaubt, partout die Welt retten zu müssen (oder zu wollen), sollte dies nicht unbedingt mit Reisen in Verbindung bringen. Auch wir waren bei den “Langhals”-Frauen. Ohne die paar Dollar von Touristen ginge es ihnen noch schlechter! Diese Beispiele ließen sich fortsetzen.
Was ich allerdings (sehr) kritisch sehe: “Unterstützte” Reisen in reinrassige Dikataturen, die dann in jauchzende und völlig kritiklose Blog-Beiträge münden. Da habe ich echte Bauchschmerzen.
Aber wie sagte schon der alte Fritz: Möge jeder nach seinee Fasson selig werden. (Gilt auch fürs Reisen)
Schöne Woche @ all.
Hallo Andreas! Gelobt seien die Worte des alten Fritz 🙂 Auch dir eine schöne Woche!