Eine mögliche Definition von Paradies ist laut Duden ein „Ort oder Bereich, der durch seine Gegebenheiten, seine Schönheit, seine guten Lebensbedingungen alle Voraussetzungen für ein schönes, glückliches, friedliches Dasein erfüllt“.
Kein Wunder, dass paradiesische Orte und Zustände häufig mit Reisen und Urlaub assoziiert werden. Egal, ob wir einen Blick aufs Smartphone werfen oder an einer Reklametafel vorbeispazieren: Wir werden vielfach mit paradiesischen Sehnsuchtsorten konfrontiert und zugleich eingeladen, in diese einzutauchen.
Aber: Was wird aus vermeintlichen Paradiesen wie der vietnamesischen Insel Phu Quoc, wenn wir erst einmal in bester Urlaubslaune unseren Fußabdruck dort gelassen haben? Und: Wie gehen wir künftig mit diesen Paradiesen um, damit sie erhalten bleiben?
Im Urlaub sind alle Paradiese erreichbar
Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich der reisebewandte Philosoph Klaus Kufeld in seinem aktuellen Buch „Rückkehr zur Utopie. Philosophische Szenarien“. Ein ganzes Kapitel ist dem Thema des Reisens gewidmet.
Der Tourismus habe heute zwar alle Paradiese erreichbar gemacht, schreibt Klaus Kufeld. Was nun aber fehlen würde, seien die klassischen Glücksmomente des Reisens. Damit meint er etwa das Erleben oder das Eintauchen ins fremde Neue. In klassischen “Urlaubsparadiesen” von heute ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Er weist auf das „touristische Dilemma“ hin: Indem wir ein Land bereisten („cover a country“) und entdecken („discover“), würden wir es zugleich mit unseren Bedürfnissen bedecken. Folgende Überlegung steht im Raum: Hat der Mensch das Paradies naiv für einen Urlaubsort gehalten, an dem er sich bedienen und an dem er sich bereichern kann, nur zum eigenen Genuss, achtlos und ohne Demut?
Paradiese bräuchten Demut, um auch solche zu bleiben, so der Philosoph. Damit einher geht die Aufforderung, die Paradiese zu verlassen. Womöglich sogar, das (zu Hause?) Bleiben zu lernen. Wortwörtlich hieße das, manche Orte überhaupt nicht mehr zu bereisen. „Reisen muss nicht abheben um jeden Preis“, schreibt auch der Philosoph.
“Urlaubsparadiese” überdenken und Genuss neu verstehen
Das „Bleiben“ meint er aber nicht im Sinn von “bleiben lassen”, denn Philosophie denke nicht in Verboten, sondern in Geboten. Es geht ihm nicht um einen Reiseverzicht. Aber wir könnten gleichzeitig Verzicht üben und trotzdem unsere Kreise ziehen.
Wie? Wenn wir Genuss nicht im Sinne von allverfügbarem Luxus verstünden, sondern als „bewusstes Leben, Gebrauch der Sinne, Rücksicht auf Natur, Zurücknahme des Ichs“.
„Bleiben“ könne auch bedeuten, uns selbst als Gäste zu verstehen und einen Ort so umsichtig zu behandeln, als könnten wir tatsächlich bleiben. Dann würden wir Paradiese betreten und gleichzeitig verlassen, weil wir uns so verhielten, als seien wir gar nicht da gewesen.
Uns im “inneren Maßhalten” trainieren
Was möchte der Philosoph mit auf den Reiseweg geben? Wir sollten achtsamer sein, Extreme austarieren, so sein Vorschlag. Er bringt in diesem Zusammenhang den Begriff der „schönen Selbstbeschränkung“ ins Spiel, in Anlehnung an Aristoteles und Georg Simmel. Das sei eine Art „inneres Maßhalten“, das zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig die Balance halte.
„Die ethische Maxime könnte dann lauten: Nimm an der Welt teil und lass es dir dabei gut gehen, achte aber darauf, dass du auch zu ihrem und nicht nur deinem Nutzen beiträgst“, formuliert es Klaus Kufeld. Er nennt das „sehenden Auges“ durch die Welt zu gehen. Mit der Wirkung, „unsere Genusssucht mit der Verletzlichkeit dieser unserer einen Welt abzugleichen“.
LESE-INSPIRATION
Dieser Text basiert auf dem Kapitel „Vom Verlassen der Paradiese“ (ab S. 177) im Buch “Rückkehr zur Utopie” des Philosophen Klaus Kufeld. Verlag Karl Alber, 2021, ISBN 978-3-495-49185-0.