Auch vor Ort angekommen ist das größte Geschenk, das man sich auf Reisen machen kann, genügend Zeit. Sie erlaubt dem Außen gleichermaßen wie dem Innenleben, die Geschwindigkeit zu drosseln. So erst entsteht der nötige Raum für bewegende Momente. Für das, was beim Reisen wirklich in Erinnerung bleibt.
Etwa das schlaftrunkene Augenreiben, während der Zug in eine fremde Stadt einfährt. Von der Morgensonne geweckt. Oder das Versinken im Strandspaziergang, das Einssein mit dem Rauschen des Meeres. Nichts als das Konzert der Wellen in den Ohren.
Das Verweilen auf einer Bank hoch über einem See. Ganz eintauchen in das Naturgemälde, das sich vor einem ausbreitet. Womöglich auch das Zusammentreffen mit anderen Menschen, denen man sich zeigt und anvertraut. Obwohl man ihnen vielleicht nie zuvor begegnet ist.
Langsam reisen und Begegnungen schaffen
Um Menschen, Orten oder Gebäuden erfüllend zu begegnen, kann die Uhr abgelegt, das Telefon ausgemacht werden. Ohne diese gewissenhaften Zeit-Erinnerer ist es einfacher, voll und ganz in den Moment einzutauchen, sich von der gegenwärtigen Situation tragen zu lassen, sich mit seinem Gegenüber verbunden zu fühlen. Sich zu trauen, dabei zu sein – anstatt nur zuzuschauen oder den Kameraauslöser zu bedienen.
Damit einher geht das Gefühl, wirklich da gewesen. Wer langsam reist, erhöht die Chance, für kurze Zeit ein kleiner Teil von etwas Besonderem gewesen zu sein.
Die Begegnung mit sich selbst
Auch die Begegnung mit sich selbst braucht Zeit und Muße. Und Mut: Wer bin ich, wenn ich mich in einer völlig anderen Umgebung befinde?
Wie verhalte ich mich gegenüber anderen – und wie blicken sie auf mich? Schaffe ich es aus meiner Komfortzone? Wie gehe ich mit schwierigen Situationen um? Komme ich damit zurecht, den Weg nicht mehr zu finden, Stunden lang zu warten oder Fremde um Hilfe zu bitten?
Langsam zu reisen ist kein Lifestyle
Langsam zu reisen ist kein Lifestyle. Slow Travel muss von innen kommen. Was es dafür braucht? Sich selbst die Erlaubnis zu geben, aus dem antrainierten Korsett der Verpflichtungen zu schlüpfen. Das Bewusstsein, dass auf Reisen die gewohnte und konditionierte Zielstrebigkeit abgelegt werden darf. Die Bereitschaft, einfach abzuwarten, was passiert. Und die Gelassenheit, anzunehmen, wenn überhaupt nichts geschieht.
Dann öffnet sich nach und nach der Vorhang zu einer Welt, die im Alltag allzu leicht übersehen wird. Eine Welt, in der genau hinschauen, bewusst wahrnehmen und einfach nur staunen wieder erlaubt sind. Eine Welt aus Dankbarkeit und Demut. Eine Welt, in der Genuss nicht mit Quantität und Geld gleichgesetzt wird, sondern mit innerem Reichtum.
Slow Travel: ein anderes Leben ausprobieren
Langsam zu reisen kann auch heißen, ein Stück weit ein anderes Leben auszuprobieren. Denn wer langsam reist, bleibt automatisch oft länger. Bekommt durch tägliche, kleine Rituale das Gefühl, dass das Hier nun die Norm ist und das eigentliche Zuhause die verschwimmende Fremde.
Hat Tag für Tag dieselben Sinneseindrücke wie jene Menschen, die hier ihr ganzes Leben lang sind. Ist vielleicht eine Weile eingebunden in den Alltag anderer. Oder erhält eine Essenseinladung bei Fremden, die womöglich zu Freunden werden. All das vermittelt einen Eindruck davon, wie sich das Leben woanders anfühlt; wie das eigene Leben noch sein könnte.
Sich von Vorgaben befreien und widerstehen
Langsam zu reisen heißt auch, zu widerstehen. Sich zu befreien von dem, was als Sehenswert oder Erstrebenswert gilt. Die Reiseziele nicht mit der bucket list im Hinterkopf abzugrasen, sondern sich bewusst zu fragen: Was sind eigentlich meine Bedürfnisse? Was würde mir wirklich viel bedeuten? Was erfüllt meine Seele? Und wie trete ich dabei mit meiner Umgebung in Beziehung?
Oft ist es dafür nötig, zumindest ein bisschen an der Oberfläche kratzen. Nur einen kleinen Schritt zur Seite zu machen. Den Blick nicht nur auf das Schöne, sondern auch auf das Hässliche zu werfen. Sich aktiv als Mensch einzubringen. Alle Gefühle zuzulassen. Wenn man beginnt, auf diese Weise zwischen den Reisezielen zu lesen, sieht die Urlaubswelt zwar ein wenig glanzloser aus. Sie wird aber auch ein Stück weit lebendiger, wahrhaftiger.
Widerstehen ist schwierig, aber ich versuchs, versprochen…
Mir fällt das meistens gar nicht schwer. Aber ich sollte öfter mal dem Fernseher widerstehen und mehr Bücher lesen 🙂
Leider habe ich auch einen Hang zum “VIEL und schnell auf einmal” – vielleicht bin ich auch deswegen immer müde? Schöne Zitate – Mann und Kästner gehen immer.
Und natürlich der Artikel und die interessanten Links, Super!
Es soll ja auch jeder reisen wie er will und kann bzw. wie es zum eigenen Leben passt. Ich mag zum Beispiel auch Roadtrips oder Kurztrips, aber da gehe ich es dann auch gemütlich an. Danke jedenfalls für dein Kompliment 🙂 Achja, übrigens: Müde bin ich auch immer. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich keinen Kaffee trinke (oder keinen #coffee habe?) GLG Maria
Ich ziehe deshalb alle 6 oder 12 Monate in ein anderes Land, miete mir eine Wohnungm lerne die Sprache, mache Freunde, lebe mich ein. So fühle ich mich wie im Urlaub, weil ich ja woanders bin, kann aber von zuhause aus in Ruhe arbeiten und erkunde so ein Land oder eine Region ganz in Ruhe.
Es kommt dann zwar vor, dass ich 4 Monate in Peru wohne und kein einziges mal zum Machu Picchu gegangen bin, oder dass ich in einem Jahr in Rumänien kein einziges Mal in Bukarest war, aber dafür fühle ich, dass ich ein Land und eine Kultur und die Gesellschaft verstehe.
Wer einmal für längere Zeit in einem anderen Land gelebt hat, verändert vermutlich seine Einstellung zum Reisen sowieso. Toll, dass du immer wieder diese Gelegenehit nutzt und dich für eine Zeit lang in einer anderen Welt “einmietest”. Alles Gute! Maria